Die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan haben sich seit 2021 drastisch verschlechtert und die Erfolge der Jahrzehnte zuvor wurden zunichte gemacht. Frauen haben ihr Recht auf Bildung und Arbeit verloren. Doch ihnen wird etwas noch existenzielleres verwehrt – der Zugang zu medizinischer Versorgung. Besonders für werdende Mütter ist die Situation lebensbedrohlich.
Dies ist ein Gastbeitrag der Organisation Women for Women. Women for Women International arbeitet mit von Frauen geleiteten Organisationen, einschließlich der Afghan Midwives Association, zusammen, die Expert:innen im Bereich der Gesundheitsversorgung sind. Gemeinsam mit Partnerorganisationen legen wir den Schwerpunkt auf den Zugang zu Frauenhäusern und Unterkünften für vermisste Kinder, Menstruations- und Babyartikel, psychosoziale und Traumaunterstützung sowie spezielle Unterstützung für Menschen mit Behinderungen.
Millionen von Menschen in Afghanistan haben kaum oder gar keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Aus diesem Grund und auf der Suche nach Zuflucht und Chancen auf Schulbildung für Mädchen sind viele Menschen in den letzten Jahren aus Afghanistan nach Pakistan geflohen. Ende letzten Jahres kündigte Pakistan eine Massenabschiebung von rund 1,7 Millionen Afghan:innen an.
Afghanistan ist seit Jahrzehnten von Konflikten geprägt, in denen besonders Frauen diversen Bedrohungen ausgesetzt sind. Women for Women International arbeitet gemeinsam mit Partnerorganisationen seit 2002 vor Ort. Mittlerweile sind sie auch an den Grenzen aktiv, wo seit einigen Monaten unzählige Menschen aus Pakistan zurück nach Afghanistan abgeschoben werden. Während im ganzen Land nach wie vor Hunger und Unruhe herrschen, sind die Zustände in den Geflüchtetencamps noch erschütternder. Länderdirektorin in Afghanistan, Payvand Seyedali, hat die Grenze zu Pakistan, den Ort Torkham, vor Kurzem besucht und berichtet von unzumutbarer medizinischer Unterversorgung, besonders für Mädchen und schwangere Frauen.
Medizinische Unterversorgung trifft besonders Frauen und Mädchen
Laut UNFPA ist Afghanistan nach wie vor einer der gefährlichsten Orte der Welt für Geburten. Alle zwei Stunden stirbt eine Frau während der Schwangerschaft oder bei der Geburt aus Gründen, die bei Zugang zu qualifizierter Versorgung weitgehend vermeidbar wären. Für die schätzungsweise 20.000 Frauen, die jeden Monat in schwer zugänglichen Gebieten des Landes entbinden, ist es besonders schwierig, Krankenhäuser oder Gesundheitseinrichtungen zu erreichen. Hier, in den Geflüchtetencamps in Torkham ist eine Schwangerschaft lebensgefährlich.
Alle zwei Stunden stirbt eine Frau während der Schwangerschaft oder bei der Geburt.”
„Innerhalb weniger Minuten nach unserer Ankunft wurden wir von zwei Vätern angesprochen, deren Frauen im Dreck entbunden hatten – sie brauchten Nahrung, Wasser, Pflege – und Hoffnung.“, erzählt Payvand. Das nächstgelegene Krankenhaus ist Stunden von Torkham entfernt. Die Partnerorganisation vereinbarte mit den Camp-Behörden die Errichtung eines Entbindungszeltes, einer mobilen Hebammenklinik. Gemeinsam werden dort Hebammen ausgebildet und verteilen “Entbindungspakete” an werdende Mütter. Ja, um selbsttätig ihre Babys im Camp zu entbinden.
Kein Platz für Frauengesundheit
Wie Mädchen und Frauen aus der Öffentlichkeit Afghanistans verbannt werden, so wird es auch mit Themen der Frauengesundheit getan. Es gibt nahezu keine Aufklärung für Mädchen zur Menstruation und auch für erwachsene Frauen ist das Thema nach wie vor enorm schambehaftet. In unseren Programmen lernen die Frauen deshalb, ihren eigenen Körper zu verstehen, auf ihre Gesundheit zu achten und sich aktiv an der Familienplanung zu beteiligen.
Es gibt nahezu keine Aufklärung für Mädchen zur Menstruation.”
Während ihres Aufenthalts im Lager verteilten Payvand und die Partnerorganisation wiederverwendbare Menstruationsbinden. Vor Ort gibt es für Menstruierende keine Möglichkeit, an Hygieneartikel zu kommen und Toiletten sind in dem Lager nur spärlich vorhanden. All diese Schwierigkeiten kommen zu den bestehenden Krisen hinzu, allem voran der Hungerskrise und der zunehmenden Armut.
Armut und Hunger nehmen zu
Im Camp trifft Payvand auf eine junge alleinstehende Mutter mit ihrem Sohn und einem zwei Monate alten Baby:
Ich habe meine Kinder im Zelt gelassen und bin hierher gekommen. Ich habe nichts – keine Vorräte, keine Lebensmittel. Unser ganzes Essen wurde zurückgelassen und ich habe nicht einmal Decken.“
Wenn Ressourcen wie Mehl und Öl verteilt werden, dann waren nur Männer in der Schlange zu sehen, so Payvand. Frauen haben keinen Zugang zu Hilfsgütern. Die Nahrungsunterversorgung von werdenden und stillenden Müttern ist verheerend.
Durch ihre langjährige Arbeit in Konfliktgebieten wissen Women for Women International, dass Frauen und Mütter in Krisensituationen oft die Hauptlast tragen. Besonders in Ländern wie Afghanistan, in denen Frauen ihre Rechte abgesprochen werden und sie gänzlich auf männliche Unterstützung angewiesen sind, sind unzählige Frauen und Mädchen der Bedrohung durch sexualisierte Gewalt sowie Armut und Hunger ausgesetzt. Doch ohne die Chance auf Bildung, eigenes Einkommen und Zugang zu Hilfsgütern sind Frauen im Zyklus der Armut gefangen. Durch fehlende Aufklärung und medizinische Versorgung oder Hygieneprodukte sind die Frauen in Afghanistan nicht nur gesellschaftlich, sondern auch gesundheitlich akut gefährdet.
Resilienz und Widerstand der afghanischen Frauen
Doch in all dieser Ungerechtigkeit finden wir immer wieder Geschichten von unvorstellbarer Kraft und Hoffnung. Frauen, die trotz aller Widerstände nicht aufgeben und sich für ihre Rechte und die ihrer Töchter einsetzen. In den Provinzen, in denen Women for Women International mit einem einjährigen Schulungsprogramm tätig ist, gibt es Frauen, die durch den Zugang zu Wissen, Selbstständigkeit und einem Unterstützungsnetzwerk langanhaltende und positive Veränderungen in ihren Gemeinden bewirken, angefangen bei sich selbst. In einer von WfWI iniziierten Umfrage gaben die afghanischen Frauen an, dass es für sie am wichtigsten ist, nicht vergessen zu werden, dass ihre Bedürfnisse von der internationalen Gemeinschaft ernstgenommen werden und ihre Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen sichergestellt wird. Nur so können die Frauen in Afghanistan weiterhin für eine bessere Zukunft kämpfen.
Anmerkung: Dies ist ein Gastbeitrag von Women for Women International, verfasst von Payvand Seyedali und Caroline Kent. Mehr Informationen findest du unter: www.womenforwomeninternational.de / @womenforwomende