Unsere Gastautorin Megan Gieske ist eine Schriftstellerin und Fotografin, die in Kapstadt, Südafrika lebt.
Die grelle Nachmittagssonne scheint hoch über Ingrid Xhameni und Enersh Nale. Die beiden 13-Jährigen kommen gerade aus der Schule. Ihre Rucksäcke mit Büchern und Heften hängen schwer von ihren Schultern. Vor einem Graffiti mit dem Schriftzug „Jeder Held war einst ein Kind mit einem Traum“ sprechen die beiden Achtklässlerinnen selbstbewusst über ihre eigenen Träume für die Zukunft.
Ingrid und Enersh nehmen am MINT-Programm iThuba Innovation Hub in Langa teil. Der Name „iThuba“ ist isiXhosa und bedeutet „Chancen“ – und genau davon haben Mädchen wie Ingrid und Enersh nicht genug. Gerade hat ihr erstes Schuljahr an der LEAP Science & Maths School begonnen. „Vom Besuch der LEAP Science & Maths School profitiere ich sehr“, erzählt Ingrid. Die festen Strukturen und das hohe Unterrichtsniveau helfen ihr, sich auf die Uni vorzubereiten.
Während an den staatlichen Schulen Südafrikas nur 51,6 % der Schwarzen Schüler*innen die 12. Klasse mit der Hochschulreife verlassen, liegt die Schulabschlussquote der LEAP-Schulen bei 93 % und mehr als 70 % der Schüler*innen besuchen anschließend eine Hochschule. Seit Pandemiebeginn hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die keine Schule besuchen, verdreifacht. Die Schulbesuchsquote ist somit auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken.
Ingrid und Enersh kommen aus einem Stadtteil, in dem die Arbeitslosenquote bei 40 % liegt. Nur 40 % der Bevölkerung haben die Hochschulreife oder einen höheren Abschluss erlangt. Doch diesen beiden Mädchen ist etwas gelungen, was zuvor noch kein*e Schüler*in ihrer Schule geschafft hat: Sie wurden an einer LEAP-Schule angenommen. Auf die 40 Plätze, die jedes Jahr von LEAP vergeben werden, bewerben sich Hunderte Schüler*innen aus Kapstadt. Viele davon kommen aus privilegierteren Stadtgebieten als Ingrid und Enersh. LEAP gibt diesen beiden Mädchen die Möglichkeiten und Mittel, andere zu inspirieren und ihnen Mut zu machen. Ihr Rat an andere Mädchen in ihrem Alter lautet:
„Gebt nicht auf. Glaubt an euch. Sagt euch immer wieder, dass ihr es schaffen könnt. Ihr seid es wert. Macht euch bewusst, dass ihr alles erreichen könnt, was ihr euch vorgenommen habt“, sagt Ingrid. „Denkt immer daran, warum ihr zu Schule geht – um eines Tages jemand zu sein. Ihr habt Ziele und Träume. Um die zu erreichen, müsst ihr fleißig sein und fest an euch glauben. Wenn ihr nicht aufgebt, werdet ihr eine bessere Zukunft haben“. Enersh hofft, dass Mädchen künftig die Chance bekommen, sich für ihre Gleichberechtigung starkzumachen. „Mädchen sollten alles tun dürfen und gleichbehandelt werden.“ Sie selbst träumt davon, eine App zu entwickeln, mit der Schüler*innen aus ganz Südafrika gleichen Zugang zu E-Learning-Angeboten bekommen.
Ingrid und Enersh wollen eine Vorbildrolle übernehmen, ihre persönlichen Geschichten erzählen und eine Motivationsgruppe ins Leben rufen, um anderen Mädchen aus Langa Mut zu machen, es ihnen gleichzutun. „Motivationsgruppen sind in meinem Township sehr selten“, sagt Ingrid. „Doch Mädchen können ihre Stimme erheben, um Missstände anzuprangern und sich für Verbesserungen starkzumachen“, ergänzt Enersh. „Als Mädchen hat man die Macht, sich für seine Rechte einzusetzen.“
Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt
In den benachbarten Stadtteilen Nyanga und Bonteheuwel wachsen die 17-jährige Nashieka, die 20-jährige Mihlali, die 12-jährige Inam und die 14 Jahre alte Anelisa in einem der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen auf. In Südafrika wird mehr als die Hälfte aller Mädchen mindestens einmal im Leben Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt. Nyanga führt regelmäßig die Rangliste der gefährlichsten Städte Südafrikas mit einer Mordrate von 15,2 Morden pro 100.000 Frauen an.
Doch diese vier Mädchen von der Organisation The Justice Desk kämpfen dafür, die Zustände zu verbessern. Im Mbokodo Club lernen junge Überlebende und Zeuginnen von geschlechtsspezifischer Gewalt im Alter von 9 bis 21 Jahren nicht nur, sich um ihre psychische Gesundheit zu kümmern. Sie bekommen auch Selbstverteidigungstechniken und wichtige Tools vermittelt, um in ihren Gemeinden eine Vorbildrolle zu übernehmen. All das Gelernte erweist sich als sehr nützlich. „Als ich hierher kam, hatte ich keine Ahnung, wie ich mich selbst verteidigen konnte“, erzählt Nashieka. Doch dann rettete Pfefferspray ihr das Leben, als ein Mann mit einer Pistole versuchte, sie auf dem Schulweg zu überfallen. Dank der Selbstverteidigungstechniken, die sie im Mbokodo Club erlernt hatte, und dem Pfefferspray, das die Kolisi Foundation in ihren kostenlosen POWER2YOU Packs bereitstellt, konnte Nashieka entkommen.
All diese jungen Aktivistinnen wollen anderen Mädchen Mut machen, indem sie sie über ihre Rechte aufklären und ihnen beibringen, sich selbst zu verteidigen. Nashieka hat schon ihrer besten Freundin gezeigt, was sie gelernt hat; Mihlali und Anelisa geben ihr Wissen ebenfalls an andere weiter.
„Ich habe meiner besten Freundin ein POWER2YOU Pack mit Pfefferspray [einer Trillerpfeife, einer Zeitschrift und Informationsmaterialien] geschenkt“, sagt Nashieka. „Als Mädchen muss sie das wissen und können, was ich auch gelernt habe“.
„Ich nutze mein Wissen, um anderen Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt Mut zu machen, die Täter*innen anzuzeigen und sich Hilfe zu holen”, sagt Mihlali. „Außerdem erzähle ich einigen Kindern in meinem Stadtteil, was ich über Menschenrechte und Verantwortung gelernt habe. Ich werde das Wissen, das ich im Mbokodo Club vermittelt bekomme, auch in Zukunft an alle weitergeben, die es brauchen“.
Shamryn Brittan ist Koordinatorin für digitale Kommunikation des Clubs. Sie sagt: „All diese Mädchen setzen ein Zeichen gegen geschlechtsspezifische Gewalt, indem sie in ihrem Umfeld darüber sprechen.“
Diese Mädchen haben sich zusammengetan, um andere zu ermutigen, Südafrika und den Rest der Welt zu einem besseren Ort zu machen.
„Um die Zustände auf unserem Kontinent zu verbessern, müssen Mädchen und Frauen sich selbst mehr wertschätzen und selbstbewusster sein und dürfen niemandem erlauben, ihnen ihre Träume wegzunehmen“, sagt Inam. „Wenn wir uns lieben und als Mädchen zusammenhalten, können wir alle Schwierigkeiten dieser Welt überwinden“, ergänzt Anelisa.
„Es ist ein tolles Gefühl, anderen Mädchen Mut zu machen“, sagt Mihlali. „Mädchen sollen in unserer Gesellschaft vor allem gehorchen. Sie sollen nicht das tun, was sie wollen, sondern was man ihnen sagt. Mädchen sind in Südafrika einfach nicht frei.“ Sie träumt von einem Südafrika, in dem alle Mädchen sicher und gleichberechtigt leben können, ohne Opfer von Gewalt zu werden.
Kampf gegen den Klimawandel
Am Rand von Kapstadt erstreckt sich das Township Khayelitsha über die Cape Flats, ein flaches, sandiges Gebiet, das für seinen rauen Wind bekannt ist. Aktuell leben hier rund 2,4 Millionen Menschen. Tausende illegal errichtete Behausungen, die meisten aus Wellblech, glänzen im Licht der hochstehenden Sommersonne. Hier wirkt sich die historische Ungleichbehandlung der schwarzen Bevölkerung Südafrikas noch immer aus. Vor Jahrhunderten wurden die Gebiete rund um Kapstadt für die Landwirtschaft, den Obst- und Weinanbau genutzt – auch Khayelitsha. Im Zuge der Zwangsumsiedlungen gingen die natürlichen Rohstoffe verloren. Heute gibt es in Khayelitsha eine hohe Bevölkerungsdichte und einen Mangel an Ressourcen und der notwendigen Infrastruktur, um die wachsende Bevölkerung zu versorgen. Ursprünglich war der Stadtteil für 200.000 Menschen ausgelegt. Die Bevölkerungszahl schnellte jedoch 2005 auf 400.000 hoch und explodierte dann 2020 auf 2,4 Millionen. Davon muss schätzungsweise 1 von 3 Menschen mindestens 200 Meter weit laufen, um Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben.
Für Othembele Dyantyi ist Khayelitsha Heimat und sie setzt sich leidenschaftlich dafür ein, das sich Dinge hier verändern. „Ich lebe in einem stark marginalisierten und vernachlässigten Teil von Kapstadt“, sagt Othembele. „Bäume werden bei mir in der Nachbarschaft sofort gefällt, um das Holz zum Grillen oder für den Bau von Hütten zu verwenden. Wir schätzen die Rohstoffe, die wir haben, einfach nicht“. Mit nur 13 Jahren setzt sich Othembele lautstark für Klimagerechtigkeit ein. Gemeinsam mit Freund:innen gründete sie an ihrer Schule einen Umweltklub, um Mitschüler:innen zu inspirieren, sich mit kleinen Veränderungen zu Hause und in ihren Stadtteilen für mehr Klimaschutz einzusetzen. „Ich möchte in meinem Umfeld die Liebe zur Natur stärken“, sagt sie. „Ich erhebe die Stimme für die Menschen in meiner Gemeinde, weil ich selbst gespürt habe, welche Folgen der Klimawandel für uns hat. Bei uns in den marginalisierten Stadtteilen sind die Auswirkungen viel schlimmer“, erklärt sie und nennt als Beispiel die Dürre von 2017.
Klimaaktivistin wurde Othembele schon mit 10, als sie sich den Khayelitsha Eco Warriors anschloss. Heute ist sie Mitglied der African Climate Alliance (ACA), einer Jugendbewegung, die sich dem Kampf gegen soziale und ökologische Ungerechtigkeit verschrieben hat. „Es ist ein Privileg, ACA-Märsche anzuführen und für die marginalisierte Jugend zu sprechen, deren Stimme nicht gehört wird“, sagt Othembele. Auch zu Hause übernimmt sie mit kleinen alltäglichen Veränderungen eine Vorbildrolle. So pflanzt sie ihr eigenes Gemüse an, kompostiert Bioabfälle und hat in ihrer Familie einen fleischfreien Montag eingeführt.
Mit freundlicher Genehmigung des Earth Child Project
„Aktivist*in wird man zuerst im Herzen“, sagt sie. „Jeder muss bei sich anfangen, Dinge zu verändern. Zum Beispiel kann man selbst Gemüse anbauen, Müll sammeln, selbst wenn es nicht der eigene ist, Dinge recyceln, Ecobricks herstellen, Wasser sparen und Bioabfälle kompostieren.“
Man ist nie zu jung, um die Welt zu verändern
Othembele, Ingrid, Enersh, Nashieka, Mihlali, Inam und Anelisa sind perfekte Beispiele dafür, dass man nie zu jung ist, um sich zu engagieren. Diese Mädchen nutzen ihre Fähigkeiten und Chancen, um Südafrika, den Kontinent und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. „Wenn wir uns mit Leidenschaft engagieren, können wir als Mädchen alles erreichen. Wenn wir fest daran glauben und uns voll dafür einsetzen, können wir die Welt verändern“, sagt Othembele. „Mädchen wie ich können die Zukunft positiv gestalten“.
Mit freundlicher Genehmigung des Earth Child Project