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Für marginalisierte Frauen ist eine Rückkehr zur „Normalität“ keine Verheißung

Krieg kennen wir im Südsudan, aber Covid-19 ist schlimmer: Wenn man Schüsse hört, kann man fliehen oder sich verstecken. Vor dem Coronavirus dagegen kann man sich nicht verstecken.” Sipura, Südsudan

Das Jahr 2020 wurde als großes Jahr für die Gleichstellung der Geschlechter und Frauenrechte geplant, mit einer noch nie dagewesenen Zahl politischer Versammlungen und Meilensteine. Doch es ist alles anders gekommen.

Die Covid-19 Pandemie verstärkt die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und intensiviert Machtgefälle überall auf der Welt. Die Auswirkungen des Virus selbst und die damit einhergehenden sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen sind besonders für die am stärksten benachteiligten Frauen, die in von Konflikten betroffenen Ländern in extremer Armut leben, am deutlichsten spürbar.

In unserem aktuellen COVID-19 Briefing Papier zeigen wir, dass Frauen in fragilen und konfliktreichen Ländern in siebenfacher Weise und unverhältnismäßig stark von den Folgen des Virus betroffen sind. So sind sie unter anderem einer überproportional erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Die Einkommensverluste der Frauen führen zu Nahrungsmittelknappheit für die gesamte Familie. Frauen werden sozial isoliert und zunehmend Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt.

„Normal“ ist ein Teufelskreis aus Ungleichheit

Während viele von uns sich nach einer Rückkehr zur Normalität sehnen, wird der Wegfall des Virus aus dem Leben marginalisierter Frauen nicht zwangsläufig zu einer großen Verbesserung ihrer Lebensumstände führen. Dafür sind viel größere Anstrengungen notwendig.

Weltweit hatten Frauen, die in fragilen und von Konflikten betroffenen Ländern leben, bereits vor der Pandemie mit einer Kombination aus extremer Armut, Unsicherheit, Isolation und geschlechtsspezifischer Diskriminierung zu kämpfen.

Viele von ihnen waren gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben worden, hatten geliebte Menschen und ihre Lebensgrundlage verloren und waren mit zahlreichen Traumata konfrontiert. Für diese Frauen bietet eine Rückkehr zur Normalität wenig Hoffnung für die Zukunft. „Normal“ ist ein Teufelskreis der Ungleichheit, der sie ungesehen, ungehört und schutzlos zurückließ, als das Virus zuschlug. Ein Impfstoff – sofern er für alle Menschen verfügbar wäre – wird hieran nichts ändern.

Die Pandemie zeigt, dass wir sehr schnell Änderungen bewirken können

Eines hat uns diese Pandemie jedoch gezeigt: Überall dort, wo es einen (politischen) Willen gibt, gibt es einen Weg. Plötzlich sind Veränderungen, die wir bislang für unmöglich hielten, machbar. Covid-19 hat uns alle gezwungen, uns anzupassen. Von meinen Kolleg*innen, die beispielsweise im Kongo, Nigeria, Irak oder Afghanistan arbeiten, bin ich immer wieder inspiriert, wie innovativ sie den widrigen Umständen trotzen. Trotz des Lockdowns schaffen sie es weiterhin, mit den Frauen, die wir unterstützen, in Verbindung zu bleiben – sei es über Radiosendungen, mobile Geldüberweisungen oder über die Verteilung von Hygiene-Sets.

Während der Pandemie haben wir die Frauen weiterhin mit lebenswichtigen Ressourcen unterstützt. © WfWI

Wenn es um Geschlechtergleichstellung und um die Beseitigung extremer Armut geht, stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen. Dies ist aber auch eine einmaligen Gelegenheit, unsere Gesellschaft von Grund auf zu überdenken und neu zu definieren.

Die SDGs bieten einen Rahmen für grundlegend positive Veränderungen für marginalisierte Frauen

Mir macht jedoch bei alledem Mut, dass wir nicht bei null anfangen. Mit den SDGs und der Agenda 2030 haben wir bereits einen international vereinbarten Plan für den Aufbau einer widerstandsfähigeren, gerechteren und nachhaltigeren Welt. Im Jahr 2015 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der Welt die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, womit sie sich verpflichteten, gemeinsam an der Verwirklichung 17 globaler Ziele zu arbeiten, um bis 2030 die Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und Frieden und Wohlstand für alle zu sichern. Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein integraler Bestandteil der Agenda 2030, der sich über alle Ziele erstreckt und allumfassende Veränderungen im Leben von Frauen verspricht, die von Konflikten und Krisen betroffen sind.

Unter strengsten Sicherheits- und Abstandsmaßnahmen wurde der persönliche Unterricht nach wochenlangem Ausfall in Nigeria wieder aufgenommen. © Kelechi Obasi

Die mutige Vision und der transformative Ansatz der Globalen Ziele sind genau das, was nötig ist, um die Erholung von der Pandemie zu beschleunigen und die Welt als eine Bessere wiederaufzubauen. Vor Covid-19 waren die Fortschritte langsam und ungleichmäßig, vor allem in fragilen und Postkonfliktländern.

Die Agenda 2030 mit ihren 17 SDGs feiert am 25. September 2020 ihren fünften Geburtstag. Ein Drittel des Umsetzungszeitraums ist damit vorüber.

Wenn wir es schaffen, die Pandemie als eine Chance auf eine vertiefte Solidarität und ein Gefühl der Dringlichkeit zu begreifen. Wenn wir die Bedürfnisse der Frauen berücksichtigen und die Pandemie sowohl als Wirtschaftskrise als auch als gesundheitliche und humanitäre Krise begreifen und entsprechende spezifische Maßnahmen berücksichtigen. Nur dann haben wir eine Chance, unser Versprechen „Leave no one behind – niemanden zurückzulassen“ einzuhalten.

Über Women for Women International

Wenn Krieg ausbricht, leiden Frauen oft am meisten darunter – sie müssen Traumata, sexualisierte Gewalt und den Tod ihrer Angehörigen erleben. Wenn der Konflikt schließlich vorbei ist, bewegt sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit weiter und es fällt den zurückgebliebenen Frauen zu, ihre Familien und Gemeinschaften wiederaufzubauen.

Women for Women International unterstützt Frauen, die an einigen der gefährlichsten Orte der Welt leben. Diese Frauen schreiben sich in unserem einjährigen Programm ein. Hier lernen sie, wie sie Geld verdienen und sparen können, die Gesundheit ihrer Familie verbessern und wie ihre Stimmen gehört werden – zu Hause und in ihrer Gemeinschaft.

Seit 1993 hat die Organisation mehr als einer halben Million marginalisierten Frauen, die Kriege in Afghanistan, Bosnien und Herzegowina, der Demokratischen Republik Kongo, Irak, Kosovo, Nigeria, Ruanda und im Südsudan überlebt haben, geholfen.

Mit mehr als fünfzig brutalen und bewaffneten Konflikten auf der Erde, gab es nie eine größere Dringlichkeit, Frauen zu unterstützen, die Kriege überlebt haben. Mit Hilfe von Spenden können Frauen die Ausbildung, die von Women for Women International ermöglicht wird, mit den Fähigkeiten, Kenntnissen und den Ressourcen abschließen, die sie brauchen, um ihr eigenes Geld zu verdienen. Unsere Absolventinnen geben ihr Wissen an ihre Nachbarn und Kinder weiter und sorgen so für einen Welleneffekt.

Mehr Informationen unter: https://www.womenforwomeninternational.de;

@WomenforWomenDE

Über die Autorin

Über Caroline Kent

Caroline ist die Deutschlanddirektorin für Women for Women International Deutschland. Sie engagiert sich seit mehr als 20 Jahren für soziale Gerechtigkeit im internationalen Kontext. Ihr Fokus liegt dabei im Besonderen auf den Themen Gendergerechtigkeit und globale Gesundheit. In den Bereichen politische Interessenvertretung, Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnenführung hat sie für diverse internationale Nicht-Regierungsorganisationen gearbeitet. Bevor sie sich im Jahr 2020 Women for Women International Deutschland anschloss, war sie die stellvertretende Geschäftsführerin von Tactical Tech. Davor war sie Mitglied des Geschäftsführungsteams der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Zuvor arbeitete Caroline als Chief Web Editor für die Vereinten Nationen.

Caroline hat Sozialwissenschaften in Hannover studiert. Sie besitzt einen Masterabschluss in European Studies der London School of Economics and Political Science.

Caroline ist unter [email protected] erreichbar.

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