Im dritten Jahr der Pandemie lässt sich eins mit Sicherheit feststellen: Wir alle haben die Pandemie satt. Die gute Nachricht: Wir haben inzwischen die Mittel, um das Coronavirus zu bekämpfen. Dafür brauchen wir neben Masken und Kontaktminimierung vor allem Impfstoff. Dass es inzwischen mehrere wirksame Impfstoffe gibt, von denen bereits 10 Milliarden Dosen verabreicht werden konnten, ist eine wissenschaftliche Höchstleistung. Und zumindest im globalen Norden profitiert die Bevölkerung enorm von dieser Entwicklung.
Impfnationalismus ist gefährlich
Die schlechte Nachricht: Während wir in Deutschland über eine Impfpflicht diskutieren, sehen die Probleme im globalen Süden ganz anders aus. Gerade einmal 10 Prozent der afrikanischen Bevölkerung ist gegen das Coronavirus geimpft. Auf 14 Booster-Impfungen in reichen Ländern kommt lediglich eine Erstimpfung in armen Ländern. Der Grund dafür ist offensichtlich: Die reichen Länder haben weit mehr Impfdosen gebunkert, als sie benötigen – während arme Länder (fast) leer ausgehen.
Dieser Impfnationalismus stellt für uns alle eine Gefahr dar: Denn solange sich das Virus in einigen Teilen der Welt frei verbreiten kann, wird es neue Mutationen geben. Die neuen Varianten könnten auf lange Sicht den Impfschutz wirkungslos machen und uns somit an den Anfang der Pandemie zurückwerfen. So langsam reagiert die Welt zwar auf dieses Problem, beispielsweise mit der Impfallianz COVAX, leider aber viel zu langsam und viel zu spät. Eine bessere – und schnellere – Lösung muss her!
Das Problem mit dem TRIPS Abkommen
Die bereits entwickelten Impfstoffe sind patentgeschützt. Dabei spielt das sogenannte TRIPS-Abkommen eine entscheidende Rolle. TRIPS steht für Trade Related Aspects of International Property und beschreibt ein 1995 in Kraft getretenes Abkommen der WTO (World Trade Organization, dt. Welthandelsorganisation) über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums. Dadurch sollen Innovation und der Schutz geistigen Eigentums sichergestellt werden.
Gleichzeitig ist in der Erklärung der WTO zum TRIPS Abkommen und öffentlicher Gesundheit festgehalten, dass das Abkommen die teilnehmenden Staaten nicht davon abhalten sollte, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu treffen. Das Abkommen könne und solle so interpretiert und implementiert werden, dass der Zugang zu Medikamenten für alle gesichert sei. So gibt es unter anderem die Möglichkeit von Zwangslizenzen, die beispielsweise Anfang der 2000er für AIDS-Medikamente zum Einsatz kamen.
Ein Rennen gegen die Zeit
Warum aber stellen die Patente ein Problem dar? Die Unternehmen, die Corona-Impfstoffe entwickelt haben, können ihre Produktionskapazitäten nicht schnell genug erhöhen. Deshalb gibt es immer noch einen weltweiten Mangel an Impfstoff, von dem insbesondere Länder des globalen Südens betroffen sind. Die Impfstoffhersteller könnten zwar Lizenzen vergeben und somit eine Produktion durch andere Unternehmen ermöglichen – dazu hat sich aber bisher nur AstraZeneca bereit erklärt.
Inzwischen arbeiten einige afrikanische Länder an der Entwicklung eigener Impfstoffe. Dabei müssen sie ohne die Hilfe von Pharmakonzernen wie Moderna oder Pfizer/BioNTech auskommen. „Wenn sie gewillt gewesen wären, ihre Technologie mit uns zu teilen, hätte das unser Leben wesentlich leichter gemacht und die Entwicklung beschleunigt. Aber das war nicht der Fall. So arbeiten wir uns nun selbst voran, erwerben dabei wichtige Kompetenzen und beweisen, dass dies auch hier in Afrika möglich ist.“, berichtet der südafrikanische Biochemiker Gerhardt Boukes im Interview mit Deutschlandfunk. Ebenfalls hat die Afrikanische Union, nach ausbleibenden Impfstofflieferungen durch COVAX, ihre eigene Initiative gegründet, den African Union’s African Vaccine Acquisition Trust (AVAT).
Beim Covid-19-Impfschutz ist Zeit der springende Punkt. Wir brauchen dringend mehr Impfstoff und können es uns nicht leisten, dass jedes Land seinen eigenen Impfstoff entwickeln muss. Eine temporäre Aussetzung des Patentschutzes – ein sogenannter TRIPS Waiver (dt. „Ausnahme“) – würde den Transfer von Wissen und somit eine Maximierung der Produktionskapazitäten ermöglichen. Eine aktuelle Studie von Ärzte ohne Grenzen und Human Rights Watch zeigt, dass rund 120 Unternehmen in der Lage wären, mRNA-Impfstoffe unter Lizenz herzustellen.
Ein Festhalten an Patenten ist in der aktuellen Lage nicht zu rechtfertigen: Inzwischen sind über 5,6 Millionen Menschen am Coronavirus gestorben. Zudem belaufen sich die öffentlichen Investitionen, die in Forschung und Entwicklung der Impfstoffe geflossen sind, auf zweistellige Milliardenbeträge.
Woran scheitert der TRIPS Waiver?
Bereits im Oktober 2020 haben Indien und Südafrika einen TRIPS Waiver für Corona-Impfstoffe bei der WTO beantragt. Dieser Forderung wurde bislang nicht nachgekommen – obwohl eine wachsende Zahl an Ländern inzwischen die Notwendigkeit einer Aussetzung der Patente einsieht. Während über 100 Länder – seit Mai 2021 sogar die USA – den Vorschlag unterstützen, will Deutschland weiter am Patentschutz festhalten.
Beim TRIPS Waiver geht es nicht um Almosen, sondern um Kooperation. Und die ist dringend notwendig, um angemessen auf die globale Bedrohungslage zu reagieren und weitere Virusmutationen zu verhindern. Zudem würde eine Zusage zum TRIPS Waiver nicht automatisch bedeuten, dass die Patente in jedem Land freigegeben werden. Jedes Land kann sich einzeln auf dieses Recht berufen. Wohlhabende Länder würden dies vermutlich nicht tun – wodurch die Einnahmen der Pharmakonzerne weiterhin gesichert sein würden. Die Länder in denen der TRIPS Waiver greifen würde, sind Länder an denen die Konzerne auch jetzt nichts verdienen. Menschenleben müssen mehr wert sein als die Profite der Pharma-Industrie.
Fordere jetzt Maßnahmen, damit wir die Pandemie endlich beenden und unterzeichne unseren globalen Aufruf.