Dies ist ein Gastbeitrag von Sarah Little, Journalistin und Gründerin von More to Her Story.
Die Gleichberechtigung von Frauen ist 300 Jahre entfernt
Jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge könnte es noch 300 Jahre dauern, bis die Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist – das sind 12 Generationen von Mädchen, die nicht in einer gleichberechtigten Welt aufwachsen werden. Aber der stetige, weltweite Rückschritt bei den Frauenrechten in Verbindung mit der fehlenden Rechenschaftspflicht für Regierungen, die Frauen und Mädchen nicht als vollwertige Menschen behandeln, könnte uns noch weiter zurückwerfen. Seit die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen haben, sind Frauen und Mädchen praktisch in ihren Häusern eingesperrt. Mädchen können weder eine weiterführende Schule noch eine Universität besuchen. Frauen ist der Besuch von Parks, Turnhallen oder anderen öffentlichen Plätzen ohne männliche Begleitung untersagt. Die jüngste Entscheidung der Taliban, Frauen die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen zu verbieten, wird die Verteilung humanitärer Hilfe zu einer Zeit einschränken, in der zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung humanitäre Hilfe benötigen und die Hälfte der Bevölkerung hungert.
Das Recht auf Abtreibung
In den Vereinigten Staaten, dem Land mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate unter den Industrieländern, wurde das in der Verfassung verankerte Recht der Frauen auf vollständige Kontrolle über ihren Körper und uneingeschränkten Zugang zur reproduktiven Gesundheitsfürsorge außer Kraft gesetzt. Würde man die Abtreibung in den gesamten USA verbieten, wie es einige Gesetzgeber*innen fordern, würde die Müttersterblichkeit um 24 % steigen. Expert*innen haben vorausgesagt, dass die Entscheidung der USA, das Abtreibungsrecht zurückzudrängen, weltweite Auswirkungen auf Frauen haben wird. Die Gleichung ist einfach: kein Zugang zu sicheren Abtreibungen, mehr Frauen sterben.
Konflikte als Gewalttreiber
Konflikte auf der ganzen Welt, von Afghanistan bis Äthiopien und vom Südsudan bis zum Jemen, verschärfen sich – und Frauen und Mädchen tragen die Hauptlast. In Konfliktgebieten werden immer mehr Mädchen in die Ehe verkauft und immer mehr Frauen stürzen in extreme Armut, um ihre Familien zu ernähren. Vor dem jüngsten Erdbeben in Syrien – einem Land, das seit mehr als einem Jahrzehnt von Konflikten heimgesucht wird – benötigten über 7 Millionen Frauen und Mädchen dringend medizinische Versorgung und Unterstützung gegen körperliche und sexuelle Gewalt. In der Ukraine hat der UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten festgestellt, dass die russische Invasion eine “Menschenhandelskrise” ausgelöst hat, von der vor allem Frauen und Mädchen betroffen sind. Krieg ist und war schon immer geschlechtsspezifisch. Heute erleben wir, dass Länder weltweit nicht für die Misshandlung von Frauen und Mädchen zur Rechenschaft gezogen werden. Unsere Rechte werden verweigert; bestehende Rechte werden zurückgenommen. Den politischen Verantwortlichen fehlen der Mut und die Überzeugung, eine Politik und ein Budget zu verabschieden, die gleiche Ausgangsbedingungen schaffen. Frauen und Mädchen schreien auf den Straßen und in den sozialen Medien und flehen die führenden Politiker*innen der Welt an, diese Krise als das zu erkennen, was sie ist: eine globale Epidemie geschlechtsspezifischer Gewalt. Wir flehen sie an, unsere Lebensgrundlagen ernst zu nehmen. Wir sind auch Zeugen eines noch nie dagewesenen Widerstands. Frauen gehen auf die Straße, ohne Angst vor den Konsequenzen.
Niemals aufgeben
Im Iran, wo Männer entscheiden, was Frauen tragen, und das Leben einer Frau gesetzlich nur die Hälfte des Lebens eines Mannes wert ist, führen Frauen eine landesweite Revolution für ihre Rechte an. In Afghanistan weigern sich die Frauen, zu schweigen, obwohl sie gefangen gehalten werden. Eine junge Afghanin sagte mir: “Ich werde niemals aufgeben.” Täuschen Sie sich nicht: Das Patriarchat existiert überall, und Frauenfeindlichkeit kennt keine Grenzen. Ich komme aus den Vereinigten Staaten, wo die Kinderehe in 43 Staaten legal ist und eine von sechs Frauen eine Vergewaltigung oder einen Vergewaltigungsversuch überlebt hat, im Gegensatz zu einem von 33 Männern. Ein Land, in dem etwa ein Drittel der männlichen Universitätsstudenten eine Frau vergewaltigen würde, wenn es keine Konsequenzen gäbe. Ich habe die letzten neun Monate im Vereinigten Königreich verbracht, wo ein Drittel der Männer glaubt, dass es wahrscheinlich in Ordnung ist, eine Frau zu vergewaltigen, wenn sie bei einem Date flirtet. Es scheint, dass man sich in einem Punkt einig ist: Die Autonomie der Frau hat Grenzen. Aber die Welt befindet sich an einem Scheideweg, und das gibt mir Hoffnung.
Jeden Tag höre ich von jungen Frauen, die sich gegen die existierenden ungerechten und unsicheren Systeme wehren. Ich sehe, wie Mädchen ihre Plattformen und ihre Stimmen nutzen, um über Dinge zu sprechen, über die früher nur in leisen Tönen gesprochen wurde. Ich sehe Männer, die fragen, wie sie es besser machen können. Ich sehe einige, die aktiv werden und ihre Freunde zur Verantwortung ziehen. Im Jahr 2023 sind wir Zeugen einer geschlechtsspezifischen Apartheid und von Frauen, die sich kollektiv erheben und sich wehren. Infolgedessen stehen wir alle vor der dringenden und klaren Frage: Auf welcher Seite der Geschichte werde ich stehen? Ich fordere Sie auf, heute über Ihre Antwort nachzudenken.