Die ehemalige Jugendbotschafterin Vanessa berichtet von ihren Erfahrungen bei ONE.
Als Kind binationaler Herkunft, der deutschen Unterschicht entsprungen und als Erste in meiner Familie die studiert hat, musste ich viel Durchhaltevermögen und Entschlossenheit beweisen, um im Leben voranzukommen. In meiner Kindheit und Jugend, habe ich aus erster Hand erfahren, wie homogen öffentliche Diskussionen sind. Und wie dies zu uniformen Entscheidungen führt, die zu oft nicht repräsentativ für die Menschen sind, die sie betreffen. Die Erfahrung von materieller Knappheit, Armut und der daraus resultierenden Stigmatisierung haben mich und die Menschen um mich herum geprägt. Auf Grund der von mir selbst erlebten Ungleichverteilung von wichtigen Ressourcen, wurde mir schnell klar, dass sich diese Umstände sowohl innerhalb als auch zwischen Staaten finden lassen. Mein Aufwachsen in Deutschland stellte sicher, dass meine Grundbedürfnisse befriedigt wurden. Wäre ich jedoch in Sierra Leone geboren, wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Der Geburtsort meines Vaters gilt trotz seines Ressourcenreichtums als eines der ärmsten Länder der Welt. 60 % der Bevölkerung leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze und 70 % aller jungen Menschen sind entweder unterbeschäftigt oder arbeitslos.
Mitmachen und Einmischen
Schon als Kind spürte ich Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, seien sie in unmittelbarer Nähe oder auch in der Ferne, weit weg von Zuhause. Rückblickend hat mich meine Unzufriedenheit mit dem Status quo dazu bewogen, Psychologie zu studieren. Es trieb mich an, menschliches Verhalten zu erforschen und zu verstehen, den öffentlichen Diskurs neu zu gestalten und letztlich die richtigen psychologischen Werkzeuge einzusetzen, um die Gesellschaft positiv zu beeinflussen. Ebenso engagiere ich mich seit jeher im Kampf gegen (globale) Ungleichheiten, was mich dazu veranlasste, zwischen 2016 und 2018 am Jugendbotschafter*innen Programm von ONE teilzunehmen.
Meine Zeit als Jugendbotschafterin
Gemeinsam mit vielen anderen jungen und engagierten Aktivist*innen setzte ich mich für Maßnahmen ein, die auf die Beendigung extremer Armut und vermeidbarer Krankheiten, die wirtschaftliche Stärkung von Mädchen und Frauen sowie eine nachhaltige Entwicklung insbesondere in Afrika südlich der Sahara abzielen. Ich traf mich mit nationalen wie auch globalen Führungspersönlichkeiten und politischen Entscheidungsträger*innen und diskutierte die Bedeutung von Entwicklungsinstrumenten wie dem Globalen Fonds. Ich sprach mit Mitbürger*innen und Journalist*innen über die Auswirkungen extremer Armut, um das Bewusstsein zu schärfen und zu diskutieren, wie Ressourcen umverteilt werden können und sollten. Ich forderte die Menschen auf, Petitionen zu unterschreiben, nahm an Protesten teil und war Teil verschiedener Medienauftritte, die dazu beitrugen, die Korruption und die Notwendigkeit einer hochwertigen Bildung zu beleuchten. Und dadurch konnte ich mir eine unschätzbare Menge an Wissen und Soft Skills aneignen, die mich auf spätere Abschnitte meines Lebens vorbereiteten.
Mein persönliches Highlight? Die deutsche Jugend beim Youth 7 2018 – einem formellen G7 Engagement Group Summit – in Ottawa, Kanada, vertreten zu dürfen (ich habe hier zusammen mit meiner mit-Alumna Luisa darüber geschrieben). 32 Jugenddelegierte aus der gesamten G7 hatten die Aufgabe, konkrete Politikempfehlungen in den Bereichen Gleichstellung der Geschlechter, Zukunft der Arbeit und Klima & Umwelt zu formulieren. Ich vertrat die deutsche Jugend zum Thema Geschlechtergleichstellung – eine herausfordernde Aufgabe, auf die ich mich nicht ausreichend vorbereitet gefühlt hätte, wäre ich nicht so stark in die #povertyissexist-Kampagne von ONE eingebunden gewesen. Der Prozess war unglaublich anregend, anspruchsvoll, aber auch erfreulich, denn am Ende erkannten die Y7, dass Mädchen und Frauen, die in extremer Armut leben, am stärksten von Geschlechterungleichheiten betroffen sind. Konkret schlugen wir vor, dass die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit unseres jeweiligen Landes 0,7 % des Bruttonationaleinkommens betragen sollte und dass sich die Vergabe der Mittel in erster Linie darauf konzentrieren sollte, Frauen die grundlegenden Menschenrechte zu gewähren, indem systematische Hindernisse für grundlegende Finanzdienstleistungen, hochwertige Bildung und Landbesitz beseitigt werden.
Die Zeit danach
Meine offizielle Zeit als Jugendbotschafterin endete, als ich meinen Bachelor-Abschluss in Psychologie machte und nach Costa Rica zog, um im Entwicklungssektor zu arbeiten. Ich half bei der Konzeption einer regionsweiten Strategie für die Jugendarbeit, unterstützte und leitete verschiedene Strategieprozesse zur Stärkung kleiner Unternehmen und der lokalen Wirtschaft und arbeitete an Initiativen zur Katastrophenvorsorge und Resilienz in den informellen Siedlungen von Portmore, Jamaika. Heute lebe ich in London, wo ich derzeit im Rahmen eines M.Sc. in Psychology of Economic Life an der London School of Economics and Political Science die Schnittmenge von Verhaltenswissenschaft, Soziologie und Wirtschaftstheorie erforsche. Neben meinem Studium bin ich Gastwissenschaftlerin an der Harvard Business School, wo ich mich besonders auf wirtschaftliche Ungleichheiten und Intergruppenbeziehungen konzentriere. Das bedeutet: Ich habe endlich einen Weg gefunden, meine Liebe zur Psychologie mit meinem tief verwurzelten Wunsch zu verbinden, den sozialen Wandel hin zu inklusiveren und egalitäreren Gesellschaften voranzutreiben. Nach der LSE werde ich als Mercator Fellow on International Affairs an der Gestaltung von evidenzbasierten und menschenzentrierten Lösungen für sozialpolitische und armutsbekämpfende Initiativen arbeiten.
Rückblickend ist mir klar, dass das ONE Jugendbotschafter*innen Programm eine große Rolle für meine persönliche und berufliche Entwicklung gespielt hat. Es hat mir geholfen, meine Berufung zu finden und mich als Aktivistin zu identifizieren – eine aktive Teilnehmerin in der gesellschaftspolitischen Landschaft. In vielerlei Hinsicht hat mich diese Reise darin bestärkt, dass Veränderungen möglich sind, wenn genug Menschen sie fordern. Die Zeit bei ONE hat mir die notwendigen Werkzeuge und das Wissen vermittelt und das richtige Netzwerk von Gleichgesinnten gegeben, um uns gegenseitig zu unterstützen. Es zeigte mir die Macht junger Menschen und motivierte mich, andere zu inspirieren und zu befähigen, sich dem Kampf gegen Ungleichheiten und ungerechte Systeme anzuschließen.
Kurzum, wenn du dies liest, etwas verändern willst, aber nicht weißt, wo du anfangen sollst: ONE könnte genau dieser Ort des Handelns für dich sein. Viel Glück auf deinem Weg!