Agnes Nyamayarwo ist eine Krankenschwester aus Uganda und die Hauptkoordinatorin des Mulago Positive Women’s Network. Als sie feststellte, dass ihr Ehemann sie mit dem HI-Virus infiziert hatte, hatte sie das Virus bereits unwissentlich an ihren Sohn übertragen. Christopher starb mit 6 Jahren an Aids. ONE-Mitgründer Bono war von Agnes’ stillem Kampf gegen die Krankheit und ihrer Tapferkeit beeindruckt. So wurde Agnes zu einer der internationalen starken Stimmen von ONE und kämpft seitdem Seite an Seite mit Bono und anderen gegen HIV/Aids.
ONE-Mitgründer Jamie Drummond ist seit mehr als 20 Jahren einer der engagiertesten Aktivist*innen im Kampf gegen HIV/Aids. Sein herausragender „Faktivismus“, wie Bono es beschrieb, wurde 2019 mit dem ‚World Without Aids Award‘ der Deutschen Aids-Stiftung ausgezeichnet. Bei der feierlichen Operngala in Berlin fand die Preisverleihung durch Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, statt. Mit einer bewegenden Rede nahm Drummond diese Auszeichnung entgegen. Er hob sowohl große Erfolge als auch die Herausforderungen hervor, die im Kampf gegen die Krankheit noch bevorstehen. Ihr findet Auszüge dieser Rede hier.
Möglichkeiten in Aktivismus verwandeln
Vor beinahe zwanzig Jahren trafen Agnes und ich uns das erste Mal in Kampala, Uganda. Das war der Anfang unseres gemeinsamen Engagements gegen HIV/Aids. Damals starben täglich ungefähr 4500 Menschen… Es war furchtbar, viele hatten die Hoffnung verloren. Seitdem konnte diese Zahl dank einer historischen Partnerschaft zwischen Aktivist*innen, dem privaten Sektor und Regierungen halbiert werden – Preise für Medikamente sanken und Gesundheitspersonal wurde unterstützt, um wirklich jede*n Bedürftige*n zu erreichen. 2023 werden durch Aids verursachten Tode abermals um die Hälfte gesunken sein, laut des Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria auf 1.100 Menschen am Tag. Gelingt es uns, die globalen Geber für diese notwendige Reduktionsrate zur Verantwortung zu ziehen und dabei nicht nachzugeben, ist eine Welt, in der kein Mensch an Aids sterben muss, bis 2030 möglich.
Eine großartige Aussicht, oder? Jetzt geht es darum, wie wir sie realisieren können. Wir müssen eine Partnerschaft auf die Beine stellen, die noch mehr für die Menschen und den Planeten erreichen kann.
Weshalb Aids ein Thema globaler Wichtigkeit bleibt
Die erste Gefahr ist eine ‚Aids-Apathie‘. Neulich, auf der ‘World Without Aids’-Gala in Berlin, kamen wir mit einem deutschen Prominenten ins Gespräch. Er gab offen zu, dass viele seiner Freunde der Ansicht waren, Aids wäre nicht länger ein „cooles“ Thema, für das man sich stark macht. Sein Argument war, dass andere Herausforderungen – wie der Klimawandel und Menschenrechte – heutzutage wichtiger erscheinen. Diese Ansicht ist weit verbreitet. Und natürlich sind all diese Themen unglaublich wichtig und müssen von uns allen auf der Welt gemeinschaftlich angegangen werden.
Deshalb sind auch die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung so wichtig – sie vereinen all diese Themen in sich und geben darüber hinaus konkrete Finanzierungsrichtlinien. Jetzt ist es wichtig, dass die Menschen, die sich engagiert für den Klimaschutz einsetzen, ebenso engagiert an vorderster Front gegen vermeidbare Krankheiten wie Aids, Tuberkulose und Malaria kämpfen. Denn solcher Einsatz kann unzählige Tode durch beide Ursachen vermeiden. Auf keinen Fall dürfen wir zulassen, dass Menschen an todbringenden Krankheiten wie Aids das Interesse verlieren. Denn dadurch würden wir zulassen, dass sie zu Modeerscheinungen werden, die man verwirft, wenn sie nicht mehr spannend sind. Den Kampf gegen die Krankheit würden wir dann nicht nur verlieren, sondern auch ihr großes Comeback erleben, das genauso viele Menschen das Leben kosten würde wie früher. Würde der Einsatz gegen Aids dann auf einmal wieder an Beliebtheit gewinnen? Eine solche Entwicklung können wir nicht zulassen. Wir müssen Menschlichkeit, moralische Vorstellungskraft und Kreativität in uns finden – und damit sicherstellen, dass alle Herausforderungen für Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit gleichzeitig und miteinander den notwendigen Einsatz erhalten.
Ein Anliegen für die Sicherung weltweiter Gesundheit
Leider überzeugen Argumente von „Gerechtigkeit und Gleichheit“ nicht alle Menschen gleichermaßen. Aber wie wäre es mit dem Argument der Gesundheitssicherung unserer eigenen Familien und Gemeinschaften? Übertragbare Krankheiten sind die ältesten Todfeinde der Menschheit. Sie haben sich mit uns entwickelt und bedrohen das System globaler Gesundheit nun an dessen schwächsten Stellen. Diese sind die Länder, die am stärksten von Armut betroffen sind und in denen tropische Krankheiten einen andauernden Kampf gegen die Immunsysteme der Einzelnen und gegen globale Gesundheitssysteme führen. Wie wir an Aids gesehen haben: Mit seinem Ursprung im Zentrum von Afrika verbreitete sich die Krankheit dennoch auf globaler Ebene. Es gibt also ein starkes Argument für kontinuierliche und starke Unterstützung des Gesundheitspersonals, das an vorderster Front gegen diese Krankheiten kämpft – die Sicherung globaler Gesundheit.
Unglaublich, dass man diese Argumente überhaupt anführen muss, oder? Allein heute werden mehr als 14 000 Kinder unter fünf Jahren sterben, die meisten an vermeidbaren oder behandelbaren Krankheiten und hauptsächlich in den von Armut am stärksten betroffenen Regionen unserer Welt. Stell dir einmal vor, eine Armee böser Aliens würde heute aus dem All angreifen und 14.000 Kinder umbringen. Und diese Armee würde damit drohen, es am nächsten Tag und an jedem darauffolgenden zu wiederholen. Wir würden uns natürlich zur Wehr setzen. Und dennoch lassen wir zu, dass genau das jeden Tag geschieht, trotz der finanziellen und technischen Mittel, mit denen wir es verhindern könnten. Ist unsere Untätigkeit angesichts dieses Sterbens nicht die größte moralische Faulheit, Abwesenheit von moralischer Vorstellungskraft und sogar pure Feigheit?
2020 – werden wir etwas ändern?
2020 hat die Weltgesundheitsorganisation das Jahr der Krankenschwester und Hebamme ausgerufen. Wir finden, dass ist ein großartiger Anlass, um finanzielle Unterstützung für diese Gesundheitsheldinnen zu erhöhen und die Sicherung unserer Gesundheit zu gewährleisten. Wir brauchen 9 Millionen zusätzliche Krankenschwester auf der ganzen Welt bis 2030, um vermeidbaren Krankheiten endgültig den Kampf anzusagen, neue Todfeinde wie nicht ansteckende Krankheiten, zum Beispiel Krebs und Diabetes, einzudämmen und den Menschen zu helfen, die an mentalen Krankheiten leiden. Viele derjenigen, die mehr als 20 Jahre mit HIV/Aids gelebt haben, leiden nun an diesen chronischen Krankheiten und benötigen Hilfe durch ein Gesundheitssystem, das sich umfassend um sie sorgt.
Aber: Gute Nachrichten. 2020 wird es einige Möglichkeiten geben, um Finanzierung und Unterstützung für dieses Ziel zu mobilisieren. Wir haben die Gavi-Finanzierungskonferenz im Juni in London, bei der viele Geberländer sich mit einem ambitionierteren Beitrag beteiligen sollten, von Deutschland bis zu Frankreich und den USA. Auch Klimaaktivist*innen möchten wir dazu aufrufen, diese Unterstützung für Immunisierung zu fordern. Dann folgt der Gipfel für Gleichberechtigung im Juli in Paris, bei dem der Zugang für Frauen zu Gesundheitsversorgung ein zentrales Thema sein wird. Schließlich wird auf der COP26, dem Klimagipfel im November im Glasgow diskutiert, wie den von Armut am stärksten betroffenen Ländern am besten zur Seite gestanden werden kann und im Zuge dessen muss Klimaschutz endlich handfest adressiert werden.
Ein Kampf, der nur gemeinsam gewonnen werden kann
All das werden Momente sein, zu denen Herausforderungen für Gesundheit, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit nicht als entweder/oder-Fragen präsentiert werden können – sondern als Teil desselben Ziels. Alle Menschen müssen dabei an einem Strang ziehen, denn wir alle teilen denselben Planeten. Eine junge Frau, die durch HIV bedroht ist, ist auch bedroht von geschlechtsspezifischer Gewalt, ungleichem Zugang zu Schulbildung, lokaler und globaler Korruption, Verletzungen der Menschenrechte oder Regierungschef*innen und Firmen, die ihren Lebensraum verunreinigen. Sie lebt an vorderster Front im Kampf gegen extreme Armut, Auswirkungen des Klimawandels und Sexismus. Ihre gelebte Realität sollte daher nicht aufgebrochen und je nach Belieben von Menschen aus der Ferne in ihren einzelnen Aspekten angegangen werden. Denn wir wissen, dass es in den einkommensschwächsten Ländern gerade einmal 300 US-$ je junger Frau kosten würde, um sie nachhaltig zu stärken. Lasst uns gemeinsam versuchen, diese Investitionen zu ermöglichen und das Geld bis hin zu jeder einzelnen Frau verfolgen, um sicherzugehen, dass es sie tatsächlich erreicht und unterstützt. Diese Investition in ihre Zukunft wird über unser aller Schicksal entscheiden.